LEBEN IM VERSTECK

In der Zeit der deutschen Besatzung tauchten in den Niederlanden zwischen 300.000 und 330.000 Menschen unter. Viele niederländische Bürgerinnen und Bürger wollten sich damit vor allem der Arbeit für die deutschen Besatzer entziehen. Zu den „Onderduikern“ zählten aber auch rund 28.000 Juden – ein großer Teil der aus 140.000 Menschen bestehenden jüdischen Gemeinschaft in den Niederlanden. Curt Bloch war einer von ihnen.

Im Juli 1942 begann die dritte Phase der Judenverfolgung in den Niederlanden: Nach Identifizierung und Isolierung ging die Besatzungsmacht nun zur Deportation über. In vielen jüdischen Familien führte der Aufruf zur Meldung zu heftigen Diskussionen, ob man untertauchen solle oder nicht. Für viele Menschen war ein Schritt in die Illegalität völlig ausgeschlossen – auch, weil der „Judenrat“ dagegen war; da nicht jeder die Möglichkeit habe, so dessen Einstellung, solle sich niemand verstecken.

Außerdem war es für viele undenkbar, sich von ihren Angehörigen zu trennen. Ein weiteres Hindernis war die extreme Abhängigkeit von größtenteils Unbekannten, und hinzu kamen Bedenken eher praktischer Natur: In einer christlichen Aufnahmefamilie wäre es zum Beispiel unmöglich gewesen, weiterhin alle religiösen Regeln zu befolgen. Und schließlich wussten viele anfangs nicht – zumindest in der ersten Zeit der Deportationen –, dass ein großer Teil der Deportierten bei der Ankunft in einem „Arbeitslager“ umgebracht wurde.

Curt Blochs Mutter Paula und seine kleine Schwester Helene, die wegen der Repressalien gegen die Juden 1939 ebenfalls aus Dortmund in die Niederlande umgesiedelt waren, werden im Mai 1943 festgenommen und ins Lager Westerbork interniert. Noch im selben Monat bringt man sie in Güterzügen in den Südosten Polens. Am 21. Mai 1943 werden die beiden im Konzentrationslager Sobibor ermordet – Paula Bloch im Alter von 60 Jahren, Helene im Alter von 19 Jahren. Curt Bloch erfährt zwar, dass seine Mutter und seine kleine Schwester „Leni“ abgeholt wurden – er weiß aber nicht, was mit ihnen geschieht. Helene sendet er in seinem Magazin vom 30. August 1943 einen bewegenden „Gruß“, seiner Mutter widmet er zum Geburtstag am 14. April das Gedicht „Voor moeder“ (Für Mutter).

Das Hinterhaus an der Prinsengracht in Amsterdam 1954: Anne Frank und die anderen Untergetauchten leben hier zwei Jahre.
(Fotosammlung: Maria Austria/MAI/Amsterdam)

Untertauchen war ein noch unbekanntes Phänomen, keiner der Betroffenen hatte damit Erfahrung. Doch schon bald funktionierte das Netzwerk der zuverlässigen Helferinnen und Helfer reibungslos, und sie schafften es, für „ihre“ Untergetauchten zu sorgen.

Die meisten Juden hatten weder einen Ort, an dem sie sich mit der ganzen Familie verstecken konnten, noch die Möglichkeit, diesen Schritt gut vorzubereiten. Viele von ihnen fanden eine Zuflucht auf dem Land; dort gab es in der Besatzungszeit mehr Nahrungsmittel, und die Bauern konnten billige Arbeitskräfte meist gut gebrauchen.

Im Laufe des Jahres 1942 wurde die Beschaffung von Verstecken immer besser organisiert. An verschiedenen Orten im Land bildeten sich kleine Untertauch-Netzwerke. In deren Mittelpunkt stand oft eine charismatische Persönlichkeit, die über viele Kontakte in der Umgebung verfügte und das Herz am rechten Fleck hatte.

Es waren natürlich auch finanzielle Mittel nötig, um Untergetauchte zu beherbergen. Wie viel dafür verlangt wurde, variierte stark. Ein paar Gulden pro Tag war ziemlich normal, doch es sind auch Fälle bekannt, in denen 1.000 Gulden pro Monat für eine kleine Dachkammer auf einem Bauernhof gezahlt werden mussten – heute würde das einem Betrag von gut 6.000 Euro entsprechen.

Das zeigt, dass manche Versteckgeber die Situation ausnutzten, um sich zu bereichern. Vor allem Juden mussten hohe „Kostgelder“ bezahlen, denn man ging allgemein davon aus, dass auf ihre Beherbergung besonders hohe Strafen standen. Und je höher das Risiko, desto teurer der Unterschlupf – so jedenfalls der Gedanke. Unabhängig von den Kosten war es für Juden generell schwieriger, unterzutauchen: Um ein geeignetes Versteck zu finden, waren sie auf nichtjüdische Verwandte, Freunde, Bekannte oder Geschäftspartner angewiesen.

Zur Leistung, schon zwei Jahre als Untergetauchter zu leben, veröffentlicht Curt Bloch im OWC-Magazin vom 15. August 1944 das Gedicht „Al zeg ik het zelf …“ (Auch wenn ich es selbst sage …).

Versteck für einen „Onderduiker“, Ort unbekannt (Foto: Verzetsmuseum Amsterdam)

Die Verstecke waren sehr unterschiedlich. In der Stadt war der Raum oft beengt, und die Verfolgten mussten sich absolut still verhalten: Die Wände waren dünn, jedes noch so leise Geräusch hätte ihre Anwesenheit den Nachbarn verraten können. Auf dem Land gab es mehr Platz, doch das bedeutete nicht automatisch bessere Lebensumstände. Manche der Untergetauchten gingen in die Wälder, bauten sich Hütten und gruben unterirdische Gänge. Später nutzten Retter regelmäßig leer stehende Hühnerställe, um Juden unterzubringen – unbehaglich und im Winter natürlich eiskalt. Wenn Gefahr drohte, mussten Untergetauchte oft in aller Eile flüchten und sich ein neues Versteck suchen. Es war eher die Ausnahme, lange Zeit in einem einzigen Unterschlupf bleiben zu können (wie die Familie von Anne Frank).

Nach dem Krieg erfuhr man von Menschen, die sich nacheinander an mehr als zwanzig verschiedenen Orten versteckt hatten. Jüdische Kinder mussten im Durchschnitt 4,5 mal den Zufluchtsort wechseln.

Wenn sich Verfolgte zu einer neuen Adresse begaben, geschah das meist im Dunkeln. Auf der Straße gesehen zu werden, war für Juden gefährlich. Dennoch gab es auch untergetauchte Juden, die tagsüber ins Freie gingen. Das geschah hauptsächlich in den letzten beiden Jahren der Besatzung, als in großem Maßstab gefälschte Ausweise hergestellt wurden, die von echten kaum zu unterscheiden waren.

Mit jedem Wechsel des Verstecks ging neben der Angst auch die Ungewissheit einher, ob der neue Zufluchtsort tatsächlich sicherer sein würde als der vorige. Oft erwiesen sich Orte in der Nähe von deutschen Truppenunterkünften oder Polizeistationen – also vor den Augen des Feindes – als besonders geeignet; die Besatzer kamen gar nicht auf die Idee, dass es jemand wagen könnte, sich in so direkter Nähe zu verstecken.

Einige Verfolgte fanden einen relativ sicheren und bezahlbaren Unterschlupf mit guter Ausstattung und genügend Platz und Privatsphäre. Das Hinterhaus war ein solcher Ort. Doch selbst dort konnten die Menschen den körperlichen und seelischen Entbehrungen des Untertauchens nicht entrinnen.

Viele Untergetauchte mussten hungern. Hinzu kam die ungeheure psychische Belastung. Monotonie und Langeweile drohten, ebenso wie Einsamkeit.Viele jüdische Kinder kamen ohne ihre Eltern in christlichen Bauernfamilien mit ganz anderen Sitten und Gebräuchen unter. Aufgrund der vielen Ortswechsel war es für sie schwer, engere Beziehungen zu ihren Versteckgebern aufzubauen. Ohne Angehörige auf sich gestellt, litten sie unter tiefer Einsamkeit und Misstrauen gegenüber der Welt. Solche Gefühle verfolgten viele dieser Kinder auch nach dem Krieg weiter. Doch vor allem ein Gefühl beherrschte das Leben eines jedes untergetauchten Menschen: die große Angst vor der Entdeckung.

Aufgrund der extremen Abhängigkeit sowie der kulturellen, religiösen und sozialen Unterschiede waren die Beziehungen zwischen Untergetauchten und Helfern manchmal ziemlich kompliziert. In einigen Fällen führte die Abhängigkeit sogar zu Exzessen wie Ausbeutung und sexuellem Missbrauch. Besonders Mädchen, die ohne ihre Eltern untertauchen mussten, waren gefährdet und in so einer Situation völlig hilflos. In vielen Untertauchsituationen entwickelte sich zwischen Verfolgten und Quartiergebern jedoch eine besondere Beziehung. Beide Seiten bewerteten diese Jahre später oft als die prägendste Zeit ihres Lebens. Wie viele Überlebende blieb auch Curt Bloch nach seiner Auswanderung nach New York noch mit seinen niederländischen Helfern in Kontakt.

Nicht mehr im Verborgenen leben zu müssen und sich frei bewegen zu können – diesen sehnlichen Wunsch drückt Curt Bloch häufig in seinen Versen aus, z. B. im Gedicht „Een keer zal de vrede komen“ (Einmal wird der Frieden kommen) in seinem Magazin vom 26. September 1944.

Von den 28.000 untergetauchten Juden in den Niederlanden wurden viele tausend verhaftet – Historiker gehen von rund einem Drittel jüdischer „Onderduiker“ aus, die entdeckt, verraten und deportiert wurden. (Dabei handelt es sich um fundierte Schätzungen; exakte Zahlen gibt es dazu nicht, was sich zwangsläufig aus der damals notwendigen Geheimhaltung des Lebens in der Illegalität ergibt.) Die Verhaftung untergetauchter Juden war vor allem die Folge eines raffinierten Prämiensystems; damit wollten die Deutschen Polizisten und Zivilpersonen dazu verleiten, Untergetauchte zu verraten. Die professionellen „Judenjäger“ der sogenannten Kolonne Henneicke erhielten ein Kopfgeld in Höhe von 7,50 Gulden für die Ergreifung eines jüdischen „Onderduiker“ – das entspricht einer heutigen Kaufkraft von ca. 52,50 Euro.

So ähnlich könnte es auch bei Curt Bloch ausgesehen haben: Ein Untergetauchter verkriecht sich in seinem Versteck irgendwo in der Provinz Groningen (Foto: Oorlogs- en Verzetsmateriaal Groningen)

Wir danken dem Historiker Jaap Cohen und dem Anne Frank House in Amsterdam herzlich für die großzügige Überlassung ihrer Informationen.