2. Jahrgang, Nr. 53, Seite 2
2. Jahrgang, Nr. 53, Seite 3

Titelseite / Einführung

„Ich schieb Wache“

Ich schieb Wache, feine Sache
Und ich langweil mich gar sehr,
Ich bin traurig und ich lache
Schon seit Jahr und Tag nicht mehr.

Ohne Freude vorm Gebäude,
Wo der Kommandante haust,
Bonzen gehn in Samt und Seide,
Mich das Ungeziefer laust.

Juckt’s im Nacken, möcht ichs packen,
Doch auf Wache steht man stramm
Vor den Nazikakerlaken,
Hätt’ ich bloß ‘nen Lausekamm.

Und so steh ich mit der Flinte
Irgendwo im fremden Land
Und das Reich sitzt in der Tinte
Und das Reich wird kahlgebrannt.

Meine Frau in Buxtehude
Schreibt, die Wohnung sei zerstört,
Sie haust in ‘ner
Und sie fröre unerhört,

Doch was mache schon die Kälte,
Für den Führer schlief sie gern
Unterm freien Himmelszelte,
Hitler ist ihr Augenstern.

England, schreibt sie, wird erliegen,
Und dann wird das Leben schön,
Denn wir werden sicher siegen,
Auf ein frohes Wiedersehn.

Dämmerts der noch nicht allmählich,
Wenn sie das, was ich weiß, wüsst!
Meine Olle glaubt noch fröhlich
Dass der Krieg gewonnen ist.

Ich schieb Wache und ich lache
Seit ‘nem Jahr zum ersten Mal,
Sie glaubt noch, der Führer mache
Einst ein Ende dieser Qual.

Und er tut, als ob er’s könnte
Und in Wahrheit kann er’s nicht,
Nächstens kriegt sie Witwenrente,
Wenn sie nicht ‘ne Bombe kriegt.

Und so steh ich mit der Knarre
Ohne Sinn und ohne Zweck
Und der Führer schiebt die Karre
Immer weiter in den Dreck.

Transkription: Thilo von Debschitz