2. Jahrgang, Nr. 23, Seite 2
2. Jahrgang, Nr. 23, Seite 3

Titelseite / Einführung

An meine deutschen Leser

Vielleicht kommen euch die Gedichte,
Die ich in eurer Sprache schrieb,
In spätren Zeiten zu Gesichte,
Und täten sie’s, wär mir’s recht lieb.

Und lest ihr sie, müsst ihr nicht denken,
Die sind nun nicht mehr aktuell,
Drum kann man sich das Lesen schenken,
Drum weg damit und möglichst schnell.

Denn amüsant ist die Lektüre
Für manche Leute sicher nicht.
Die sehn, man sitzt hier über ihre
Verfloss’ne Dummheit zu Gericht,

Die Dummheit der vergangnen Zeiten,
Denn die steht grausam hier zu Buch,
Die sie schwer büßten und bereuten
Für ihr Gefühl schon schwer genug.

So schwer, dass man vergessen möchte
Und ein Erinnern brächte Pein,
Drum scheint dies Buch euch eine schlechte
Aufgrabung alten Leids zu sein.

Ihr wähnt euch endgültig entflohen
Dem Schatten der Vergangenheit.
Und denkt nicht dran, dass euch bedrohen
Der gleiche Schmerz, das gleiche Leid.

Wenn man euch eure alten Fehler
Nun wiederum vergessen lässt,
Dann führt ein neuer Puppenspieler
Euch zu nem neuen Schlachtefest.

Denn ihr lasst euch so leicht umgarnen,
Wenn ihr vom Kriege seid erholt.
Und darum möchte ich euch warnen,
Dass man euch nicht nochmal verkohlt.

Zum zweiten Mal seid ihr versunken
Nun in genau dem gleichen Loch.
Und macht euch wieder wer betrunken,
verlasst euch drauf, geschieht es noch.

Im Gegensatz zu andern Dichtern,
Die euch in einen Rausch versetzt,
will ich euch gern vom Rausch entnüchtern,
Fühlt euch drum bitte nicht verletzt!

Und wirkt meine Gardinenpredigt,
Seht ihr die alten Fehler ein,
dann fühle ich mich reich entschädigt
Und wird mir’s ein Vergnügen sein.

 

 

[ Lesung: Oliver Wronka ]

Transkription: Thilo von Debschitz