2. Jahrgang, Nr. 42

Zur Einführung

Vor den herannahenden russischen Truppen lässt Erich Koch (1896–1986), Gauleiter der NSDAP in Ostpreußen, eilig eine Verteidigungsanlage errichten. Der sich über hunderte Kilometer erstreckende „Russenwall“ soll den Vormarsch der roten Armee aufhalten. Alle Menschen werden aufgerufen, sich an den Arbeiten zu beteiligen. Curt Bloch findet, dass sie sich mit diesem aussichtslosen Aktionismus nur ihr eigenes Grab schaufeln würden – gemäß dem deutschen Sprichwort: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“.

Im Jahr 1844 veröffentlichte der französische Schriftsteller Eugène Sue (1804–1857) mit dem Werk „Le Juif errant“ einen Beitrag gegen den aufkeimenden Antisemitismus seiner Zeit. In der niederländischen Übersetzung lautete der Buchtitel „Der wandernde Jude“, wie zwei von Curt Bloch eingeklebte Illustrationen zeigen. In seinem Gedicht Ahasverus in dieser Zeit weist Bloch darauf hin, dass die Beschreibung des umherirrenden, wandernden Ahasverus – eine Bezeichnung aus der christlichen Mythologie – der Vergangenheit angehöre. Adolf Hitler habe dafür gesorgt, dass sich Juden nicht mehr frei bewegen könnten. Heute seien sie weggeschlossen, im Versteck – nicht wandernd, sondern sitzend.

Das Titelblatt der „Stuttgarter Illustrierten“ vom 24. Mai 1944 zeigt Gruppenführer Karl Kraft (1893–nach 1945) neben einem älteren Mann, der für seinen Wehrmachtseinsatz eingewiesen wird. Curt Bloch nimmt dieses Pressebild zum Anlass, Reime auf das allerletzte Aufgebot zu verfassen. Auch Greise, spottet er, rekrutiere man nach dem Motto „Spät übt sich“ nun für Adolf Hitler, weil man dringend zusätzliche Kräfte für die Verteidigung des Reichsgebiets benötige. Sicher mag der dargestellte Veteran ein Gewehr bedienen können. Aber ob er in seinem hohen Alter auch in der Lage sei, vor dem Feind davonzurennen, wird von Bloch bezweifelt.

Curt Bloch wirft einen kurzen Blick nach London, wo sich seit der Besetzung durch die Deutschen die niederländische Königin Wilhelmina (1880–1962) im Exil befindet. In Blochs Gedicht weist die Königin ihren Sekretär an, Vorbereitungen für die Rückreise in die Heimat zu treffen. Dabei soll sie u. a. von Pieter Sjoerds Gerbrandy (1885–1961), Willem Albarda (1877–1957) und Jan van den Tempel (1877–1955) begleitet werden, die der niederländischen Exilregierung angehören. Tatsächlich traf Wilhelmina erst am 2. August 1945, also fast ein Jahr nach der Veröffentlichung dieses Gedichts, in den Niederlanden ein. Weniger zuversichtlich als die Königin war laut Bloch der ehemalige Finanzminister Dirk Jan de Geer (1870–1960). Da er nicht an einen Sieg der Alliierten glaubte, kehrte er 1941 aus London nach Den Haag zurück, um mit den Nazis Frieden zu schließen – gegen den Willen der Exilregierung, die dies als Fahnenflucht betrachtete. Seine Haltung brachte de Geer nach dem Krieg vor ein Sonderstrafgericht, das ihn wegen „staatsschädigenden Verhaltens“ zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilte.

Das Attentat vom 20. Juli 1944 war der bedeutendste Umsturzversuch des militärischen Widerstandes in der Zeit des Nationalsozialismus. Der Anschlagsversuch misslang, Adolf Hitler zog sich nach der Detonation einer Sprengladung nur leichte Verletzungen zu. Mehrere hundert Verdächtige wurden in der Folge inhaftiert, zahlreiche Menschen exekutiert. Zur ersten Gruppe, die sich am 7. und 8. August 1944 vor dem Volksgerichtshof wegen Hochverrats verantworten musste, zählten Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben (1881–1944) und sieben weitere Führungspersonen der Deutschen Wehrmacht. Alle wurden zum Tode verurteilt. Vorsitzender Richter dieser Prozesse war der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler (1893–1945), persönlich. Curt Bloch setzte den Begriff „Volksgericht“ bewusst in Anführungszeichen und spricht in seinen Versen von einem „Riesenschauprozess“, der durch Heinrich Himmler (1900–1945) inszeniert worden sei. „Das Urteil war geschrieben, bevor der Prozess begann.“