Die Macht der Musik
Bei einem der großen britischen Luftangriffe auf die Reichshauptstadt erschien in einem Luftschutzkeller ein Mann, der in seinem Gepäck auch einen Geigenkasten hatte. Man erkannte in ihm den weltberühmten (?) Geiger Siegfried Borrius. Auf Wunsch und ohne zu zögern gab Borrius, während links und rechts die Bomben fielen und die Luftabwehrartillerie wütend das Feuer eröffnete, für seine Schicksalsgenossen im Keller ein Violinkonzert. Der Künstler fesselte mit seinem Spiel die Zuhörer so sehr, dass sie kaum noch auf die drohende Gefahr achteten und das Toben der Schlacht draußen nicht mehr hörten. – 13/12
Die Deutschen dulden heldenhaft
Jedweden Brand und Knall.
Das Publikum in seinem Wahn
Sieht darin Karneval.
Und man erträgt ihn fröhlich-frei
Und in Geselligkeit,
Und ist der Luftangriff vorbei,
Tut’s manchem sogar leid.
Und wenn du glaubst, es ist nicht wahr,
Nimm’s Tageblatt zur Hand:
In Deutschland läuft es gut, na klar,
Und die Moral hält stand.
Vor Kurzem bei ’nem Luftangriff
Betrat mit Violin
Den Bunker Siegfried Borries,
Ein Geiger, wie es schien.
Und auf den Wunsch des Publikums
Griff er zum Instrument,
Und jeder, der im Keller saß,
Beklatschte sein Talent
Und hörte nicht den Bombenfall
Und nicht die Luftabwehr,
Vergessen waren Not und Angst,
Die Welt gab es nicht mehr.
Vergessen waren Mord und Brand,
Man lauschte der Musik,
Vergessen war die Wirklichkeit,
Vergessen war der Krieg.
Das Stück, das er zum Besten gab,
Man hat’s uns nicht gesagt.
Ob es der „Feuerzauber“ war?
Hab ich mich da gefragt.
Es hätte durchaus schon gepasst
Zum brennenden Berlin,
Man weiß, es war ein Flammenmeer,
Ein Riesending, wie’s schien.
Dazu noch Haydns „Paukenschlag“
Der hätt hier gut gepasst,
Mit Bomben und mit Luftabwehr
Als donnernder Kontrast.
Vielleicht dachtʼ er sich aber auch:
Ich spiel ’nen Schlager schnell.
„Berlin wackelt“ ist sehr bekannt
Und grad auch aktuell.
Die Zeitung schreibt, das Publikum
Hätt dem Versteckkonzert
Gebannt gelauscht, so dass ich glaub,
Das wär’s doch noch mal wert.
Literarische Übersetzung: Gerd Busse
Mit freundlicher Genehmigung der Aufbau Verlage GmbH & Co. KG, Berlin; die Arbeit der Übersetzer wurde gefördert von der niederländischen Stiftung für Literatur.