3. Jahrgang, Nr. 11, Seite 11
3. Jahrgang, Nr. 11, Seite 12

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Selbstgespräch in Berchtesgaden

Adolf saß mit trüber Miene
Dieser Tage am Kamine
Im Palais zu Berchtesgaden,
Das bislang von Bombenschaden

Blieb verschont, im Gegensatze
Zu gar manchem deutschen Platze,
Der dank Adolfs weiser Führung
Durch des Feindes Bombardierung

Ward verwandelt zur Ruine.
Hitler kratzte am Kamine
Sich sehr sorgenvoll die Haare,
Fühlend, dass die fetten Jahre

Für ihn leider sind entschwunden.
Mancher, der ihm war verbunden,
Hat ihn schnöd im Stich gelassen
Und die Gunst der deutschen Massen

Hat er lange schon verloren.
Früher schien er auserkoren
Und es schien, er würd auf Erden
Gottes Stellvertreter werden.

Doch die Zeit ist längst verflossen
Und bei den Parteigenossen
Und bei Adolf ist die Laune
Heute eine reichlich downe.

Jeder fühlt: Es läuft zum Schlusse,
Denn von Osten kommt der Russe
Und von Westen Eisenhower.
Man spürt deutlich: Auf die Dauer

Wird das Hakenkreuz erliegen.
Deutschland wird, anstatt zu siegen,
Wieder mal den Kürzren ziehen,
Adolf Hitlers Prophetien

Werden nimmer sich erfüllen,
Adolf Hitler denkt im Stillen:
Heut sitz ich noch am Kamine.
Meine Glanzzeit auf der Bühne

Deutschlands und der Weltgeschichte
Ist zu Ende. Die Berichte,
Die ich von der Front empfange
Machen ängstlich mich und bange,

Machen bang mich und betroffen,
Denn es bleibt nichts mehr zu hoffen.
Fort sind meine Lebensräume,
Fort sind alle Zukunftsträume.

Bald ist’s aus mit meinem Walten,
Lang kann ich mich nicht mehr halten,
Sind’s noch Tage, sind’s Minuten,
Hunderttausende verbluten

Und Millionen müssen sterben,
Länder kamen ins Verderben,
Völker wurden zu Nomaden,
Heut sitz ich in Berchtesgaden

Noch am eigenen Kamine,
Doch ich zittre vor der Sühne.

 

 

[Lesung: Robert Dölle]

Transkription: Thilo von Debschitz