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Naziwitze

Eine schalldichte Zelle für Witzemacher.
Der Höhepunkt der Karnevalsfeier in München war wie immer ein langer Umzug, bei dem hier und da vorsichtig Spott mit politischen Personen und Zuständen getrieben wurde. – Eine garantiert schalldichte Zelle, die nach Münchner Auffassung in ganz Deutschland aufgestellt werden sollte, um politischen Witzeerzählern Gelegenheit zu geben, ihr Herz frei zu entlasten. – 2-3-1938

Man zollt ihm nicht viel Komplimente
’s ist mit der Liebe nicht weit her,
Wenn Lächerlichkeit töten könnte
Dann gäb’ es keinen Führer mehr.

Und auch des Führers Paladine,
Sie wären schon sehr lange tot
Und Michel mit vergnügter Miene
Äß’ friedlich heut sein Butterbrot.

Man hat so manchen Witz gerissen,
Doch ganz natürlich sehr diskret,
Man tuschelt hinter den Kulissen,
Damit kein Dritter was versteht,

Denn es kann keinen Scherz vertragen,
Herrn Hitlers Hakenkreuzregime,
Den Witz muss man sich schon versagen,
Drum witzelt man nur sehr intim

Von Doktor Göbbels großer Fresse,
Von Görings Uniformensucht,
Von Adolf Hitlers Raffinesse
Von Rudolf Heß und seiner Flucht,

Von Hitlers falschen Prophetien,
Die niemals werden Wirklichkeit,
Von Göbbels Lügenphantasien
Schmunzelt man voller Heiterkeit.

All diese Witze sind verboten
Ertappt man dich, wirst du gestraft
Dir geht es wie so manchem Roten,
Ins Zuchthaus oder Lagerhaft.

Man hat im Fasching ‘38
In München dies recht hübsch glossiert,
Hierfür fand heute den Beweis ich,
Und habe ihn drum schnell montiert.

Man zeigte eine große Zelle,
Erzählt man darin einen Witz,
Ist man gedeckt auf alle Fälle,
Erspart sich den Gefängnissitz.

Die Zelle ist akustisch sicher,
Die Zelle ist akustisch dicht
Sowohl Pointe als Gekicher
Vernimmt die Volksgemeinschaft nicht.

Man braucht sich nun nicht mehr zu quälen,
Man witzelt nun in aller Ruh’,
Man kann sich jeden Witz erzählen,
Denn man ist gänzlich entre nous.

Der Witz wird nicht zum Staatsverbrechen,
Wenn man in dieser Zelle plauscht,
Man lacht über des Führers Schwächen,
Und da ist keiner, der’s belauscht.

Und man macht ruhig seine Witze:
Gemeinheit geht vor Eigennutz
Und über Marschall Görings Litze
Denn diese Zelle bietet Schutz. –

Inzwischen sind sechs Jahr verflossen,
In München ist kein Fasching mehr,
Und manche Träne ward vergossen,
Das Leben wurde ziemlich schwer.

Ja, München hat recht schwer gelitten,
Wie gar so manche andere Stadt
Erhielt es den Besuch der Britten
Und hat den Krieg sehr gründlich satt.

Man spricht nicht mehr von Görings Orden,
Vom Obersalzberger Idyll,
Man ist bitter und ernst geworden,
Und hält sich vorläufig noch still.

Doch sind verändert die Gefühle
Ein jeder merkt, da brütet was,
Es herrscht eine Gewitterschwüle
Man spürt, es wächst ein wilder Hass.

Hitler spürt auf dem Führersitze:
Gründlich hat sich gedreht der Wind.
Er merkt, dass nach der Zeit der Witze
Für ihn der blut’ge Ernst beginnt.

Transcription: Thilo von Debschitz